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Coworking an der Schiene – Eine kleine Rundreise

Bahnhöfe mit Coworking revitalisieren? Dass dies gelingen kann, können wir aus eigener Erfahrung bestätigen. In weniger als einem Jahr ist es gelungen, 400 Quadratmeter von Verwahrlosung betroffenen Leerstand in möblierte und technisch vollausgestattete Arbeitsräume zu überführen, deren Gestaltungskonzepte in gemeinsamen Workshops mit der Community entstanden sind.

Das moderne Lebensgefühl begann an den Bahnhöfen zu pulsieren, von wo aus sich die Arterien der Stadt mit Menschen und die Hauptschlagadern des Landes mit immer längeren und immer schnelleren Zügen füllten. Ausgehend von den Gleisanschlüssen richteten sich die Städte vollkommen neu aus. Die Eisenbahn transportierte somit nicht nur Güter und Personen, sondern sinnbildlich auch Ideen. Insofern waren die Empfangsgebäude, deren Architektur vielerorts an eine Mischung aus Kirche, Schloss und Rathaus erinnert, auch Gedankengebäude, von denen ausgehend urbane Räume neu gedacht wurden. Fast 100 Jahre lang war die Eisenbahn das unangefochten wichtigste Verkehrsmittel. Neben den Wartesälen für die verschiedenen Klassen stellten die Annahme, Lagerung und Abwicklung von Reisegepäck die kundenrelevantesten Funktionen eines Bahnhofs dar. Darüber hinaus mussten Flächen für Büros und Dienststellen, Stellwerke, Personal- und Lagerräume und die großen Fahrkartenausgaben vorgehalten werden.  Dienstwohnungen für Fahrdienstleiter und Bahnhofsvorsteher waren oftmals in den Obergeschossen untergebracht.

Durch Fortschritte in der Bahntechnik und gewandelte Nutzungsanforderungen wird ein Großteil der ursprünglichen Flächen für die Abwicklung des Bahnbetriebes heute nicht mehr benötigt. Jedoch: Aufgrund ihrer meist zentralen Lage und überregionalen Funktion werden Bahnhofsgebäude samt ihrer Quartiere von der Bevölkerung nach wie vor frequentiert und durchaus in hohem Maße wahrgenommen. Besonders an kleinen und mittleren Standorten liegen Empfangsgebäude aufgrund fehlender Nachnutzungskonzepte häufig brach mit negativer Ausstrahlwirkung auf den öffentlichen Nahverkehr. 

An Metropolbahnhöfen reagiert die City | DB bereits unter der Marke everyworks auf den tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt. 

Wir wollten wissen,  wie das Konzept Coworking an kleineren Bahnhöfen aussieht. Hierfür habe ich mich in den letzten Wochen und Monaten auf den Weg gemacht, um mir einen persönlichen Eindruck vor Ort zu verschaffen. 

Meine erste Reise führte mich in die niedersächsische Gemeinde Eschede. Ursprünglich als Pop-up-Projekt im Oktober 2021 gestartet, vom Netzwerk Celle initiiert und im Verwaltungsausschuss einstimmig beschlossen, soll sich der #netzwerk – Coworking Space Eschede als Leuchtturm für die moderne und digitale Arbeitswelt im Landkreis Celle manifestieren. Die Location befindet sich direkt „An der Bahn“ im Bahnhofsgebäude, das sich seit 25 Jahren im Eigentum der Gemeinde befindet. Startups, Selbstständigen und Gründern wird die Möglichkeit geboten, ihre Ideen auf günstigen Büroräumen und durch Zugang zur Community zu verwirklichen. Doch auch für pendelnde Angestellte könnte der Coworking Space als Alternative zum Homeoffice bzw. zum weit entfernten Firmenbüro ein alternativer Arbeitsort sein. Das ehemalige Fahrdienstleiterbüro sowie das Reisebüro wurden renoviert und beherbergen nun bis zu fünf fixe Einzelarbeitsplätze. Den Bahnhof wieder mit Licht und Leben zu füllen, wurde als weiteres Ziel explizit formuliert. Die Besonderheit: Über die Community Fläche besteht eine unmittelbare Verbindung zur angrenzenden Dauerausstellung Naturpark Südheide. Gelegentlich verirrt sich auch mal ein Bahnkunde in die Büros verrät mir die Geschäftsführerin.

Eine Woche darauf durfte ich das privat geführte Gleis 5 in Bitterfeld-Wolfen besuchen, das sich nur unweit vom Bahnhof entfernt befindet und als erstes kleines, aber feines Coworking-Angebot der Region ins Leben gerufen wurde. Der Stadtteil Wolfen verfügt über einen relativ großen Gleisbahnhof mit Busanbindung und Elektro-Stationen. Mit dem Regionalexpress lassen sich Magdeburg-Leipzig sowie mit den S-Bahnen Leipzig/Halle-Wittenberg erreichen. Als Zielgruppe werden Gründer, Selbstständige und Visionäre angesprochen. Es bestehen gute Verhältnisse zur direkten Nachbarschaft erzählt mir Brian, Inhaber des Coworking Space auf einer Tasse Kaffee. Er engagiert sich dafür, Coworking auf dem Land noch bekannter zu machen. Das Thema Bahnhof wird durch verschiedene Elemente im Coworking Space geschmackvoll aufgegriffen, so etwa durch eine über 100 Jahre alte Wanduhr und noch ältere Gleisschilder von Lokomotiven. 

Im März zog es mich in die nordhessische Kleinstadt Schwalmstadt ( Treysa). Etwa 100 Meter vom Bahnhof entfernt gelegen befindet sich im Obergeschoss eines ehemaligen Postgebäudes der Coworking Space Schwalmstadt. Von der Wirtschaftsförderung initiiert und mit LEADER Mitteln unterstützt, übernimmt dieser eine Vorreiterrolle für weitere Einrichtungen im Landkreis. Hierzu ist zu wissen, dass vor der Pandemie etwa 19.400 Menschen mit Bürojob aus dem Umland allein nach Kassel auspendelten. Um diesen hohen Zahlen zu begegnen wurde das Projekt Mosaca (Mobiles Arbeiten, Satellitenbüros und Carsharing) auf den Plan gerufen. Seither wächst das Netzwerk aus Coworking Spaces in Nordhessen stetig weiter. Im Coworking Space angekommen, wurde ich sehr freundlich empfangen. Die Atmosphäre im Coworking Space habe ich als familiär und persönlich wahrgenommen. Bestätigt wurde dieser Eindruck in den Gesprächen, die ich mit einzelnen Coworkern führen durfte. Neben einer großzügigen und stilvoll eingerichteten Community-Fläche inkl. Küche bietet der Space ergonomisch ausgestatte Team- und Einzelbüros sowie einen modernen Konferenzraum. Die unmittelbare Nähe zum ICE-Bahnhof war ein entscheidender Aspekt in der Projektplanung. Man muss nicht jeden Tag zum potenziellen Arbeitgeber nach Frankfurt a.M. oder Kassel pendeln und ist bei unvorhergesehenen Ereignissen dennoch relativ schnell und spontan mit dem Zug in der Firma. Neben Pendelnden zählt der Coworking Space vor allem Gründer, Studierende, Reisende und Betriebe aus dem näheren Umfeld zu seiner Zielgruppe. Das Bahnhofsquartier ist sehr zentral gelegen und bietet mit vielen gastronomischen Angeboten, Einkaufsmöglichkeiten und Einzelhandel einen breiten Nutzungsmix. Zudem kommt die Sharing Economy hier gleich doppelt zum Tragen, denn auf demselben Grundstück des Coworking Space befindet sich eine CarSharing Station, deren Fahrzeuge für Dienstreisen oder private Besorgungen bequem per Chip oder App gebucht werden können. 

Am 12. Mai, eröffnete der Coworking Space im nordhessischen Bahnhof Bebra offiziell seine Pforten. Die Gelegenheit Luft zu schnuppern, bot sich bereits zum Tag der offenen Tür im April. Das neue Nutzungskonzept, welches sowohl der Bedeutung des Bahnhofs in der Vergangenheit als auch für die Zukunft Rechnung trägt, wurde von der Stadtentwicklung Bebra GmbH erarbeitet. Denkmalschutzgerecht und wirtschaftlich sollte es sein. Auch hier, im historischen Inselgebäude, vereinen sich Ausstellung (zum Thema Grenzbahnhof/Deutsche Einheit) und Coworking unter einem Dach. Zwölf Arbeitsplätze im Open Space sollen den gegenseitigen Austausch fördern. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Team- und Einzelbüros zu buchen. Zudem gibt es einen Kreativraum mit Ton- und Videotechnik und einen Konferenzraum im historischen Fürstenzimmer. Als Knotenpunkt im Kaiserreich und Grenzstation im Kalten Krieg, schreibt der Ort Geschichte. Dass Bebra und die Eisenbahn untrennbar miteinander verbunden sind und dem Bahnareal eine große Bedeutung für die Identität der Stadt und ihrer Bürger zukommt, stand nie in Frage. 2019 wurden die umfangreichen Sanierungen des 150 m langen Industriedenkmals erfolgreich fertiggestellt. Von welchen Nutzergruppen die Coworking Räume künftig bezogen werden, bleibt abzuwarten. Über das Potenzial der Berufspendler, die in den größeren Städten und Regionen arbeiten, ist man sich auch hier bewusst.

Einen anderen Schwerpunkt setzt zedita, das „Zentrum für digitale Transformation & neue Arbeit“ im historischen Kaisersaal des Hamelner Bahnhof mit Coworking als Baustein. Der Mythos besagt, dass beim Herausreißen von Zwischendecken eine 15 Meter hohe Halle in Hufeisenform zum Vorschein kam – seither bekannt als Kasiersaal. Zwischenzeitlich wurden die Räumlichkeiten als Diskothek genutzt, bevor sie mehrere Jahre lang leer standen. Gelegen an der Weser zählt die „Rattenfängerstadt“ gegenwärtig rund 57.000 Einwohner und ist Kreisstadt des Landkreises Hameln-Pyrmont. In regelmäßigen Abständen finden hier coworking days statt, um die Möglichkeit zu bieten, das Konzept für sich auszuprobieren. Diese Möglichkeit ließ ich mir natürlich nicht entgehen. Nach etwa 3 ½ Stunden Zugfahrt bin ich am Hamelner Bahnhof angekommen, der für einen Bahnhof in meinen Augen sehr gepflegt erscheint. Im Erdgeschoss befinden sich Bäcker mit Café, Zeitschriftenhandel und einige weitere Mieter. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit sein Fahrrad Diebstahl- und witterungsgeschützt unterbringen zu lassen. Über Treppe oder Aufzug gelangt man in das Obergeschoss des Bahnhofgebäudes. Auf dieser Etage befindet sich der Eingangsbereich meines eigentlichen Ziels. Von der Hochschule Wesebergland auf den Weg gebracht, ist es die Vision von zedita, einen Raum für systemübergreifende Kooperation und Wissensaustausch zu schaffen. Angekommen, werde ich von Pauline, Mitarbeiterin von zedita, freundlich empfangen und durch die Räume geführt. Auf den Plakaten lese ich „Coworking“ und „Colearning“. Auf ungefähr 700 Quadratmetern und über zwei Geschosse verteilt, spiegeln sich diese Konzepte in der Raumgestaltung deutlich wider. 

Aufgrund meiner gesammelten Eindrücke und Erfahrungen in der letzten Zeit kann ich resümieren: Ja, Coworking ist durchaus ein Konzept, um verlassenen, ungenutzten Räumen neues Leben einzuhauchen. Bahnhöfe bzw. ihre umliegenden Immobilien bieten sich mit Hinblick auf das Ziel der Attraktivitätssteigerung öffentlicher Räume in besonderer Weise an. Entscheidend für den Erfolg ist dabei eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren, wie Immobilieneigentümern, engagierten Betreibern, politisch-administrativen Akteuren aber auch öffentlichen und privaten Institutionen.

Kennt ihr noch Coworking Spaces an den Schienen, die ich auf meiner weiteren Reise nicht verpassen darf?

Dann meldet euch gerne auf unseren Social-Media-Kanälen oder unter hello@kombinat01.de und lasst es uns wissen!